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No One Wins, It's a War of Men - The Need for Cyborgs with Enhanced Human Potentials

An Interview with Klaus Theweleit (German Original)



AAA: Worin sehen Sie die Ursachen des momentanen gesellschaftlichen Wandels hin zu autoritären Denk- und Verhaltensweisen und denken Sie, er liegt im Individuellen begründet oder sind es hauptsächlich äußere Faktoren, die diese Art des Denkens und Handelns dann im Einzelnen hervorrufen?

KT: Wo sehen Sie den „momentanen gesellschaftlichen Wandel hin zu autoritären Denk- und Verhaltensweisen“? Ich sehe den nicht. Der ist eine journalistische Ente, ausgelöst vermutlich durch den Vorwurf der „Lügenpresse“ an unsere liberale Journalistik. Weil dieser Vorwurf saß (und sitzt). Es heißt, aus den rechten Ecken, die heutigen Zeitungen seien in der Mehrheit „links-grün versifft“. Nimmt man das „versifft“ da heraus, also den Schmutzvorwurf, stimmt das ja. Selbst rechte Springer-Schlachtschiffe wie DIE WELT kommen nicht umhin, sich grün zu kleiden, liberal zu geben, kurz: den Gesetzen der allgemeinen allumfassenden Sozialdemokratisierung des gesellschaftlichen Lebens zu unterliegen. Schleswig-Holsteins CDU-Chef Günther gewinnt die Wahl am gestrigen Sonntag, weil er der bessere, der mehr versprechende Sozialdemokrat ist als der zu selbstsichere regierende Sozialdemokrat Albig (mit allerhand Klumpfüßen an der Hacke). Auch Frau Merkels Erfolgskurve steigt immer da an, wo sie den Sozi Gabriel oder die grüne Göring-Eckart in den Schatten stellen kann, als bessere Grün- und Sozifrau; das ist ziemlich offensichtlich. Selbst Seehofer siegt „populistisch“ als Sozialdemokrat vom rechten Rand. Übrig als alter CDU-Radikaler (und echter Anti-Europäer) ist eigentlich nur Schäuble. – Ich habe im letzten halben Jahr nicht aufgehört, privat wie öffentlich, wieder und wieder zu betonen, dass es eine wirkliche Bedrohung durch den Rechtspopulismus in Frankreich nicht gäbe; dass Frau LePen „nicht den Hauch einer Chance“ auf die Präsidentschaft besitze. Aber nein, die Leute waren ausgesprochen verliebt im Ausmalen des Gespensts dieser „Bedrohung“. Ähnlich mit der AfD, ein unbedeutender Meckerhaufen aus Idioten und Halbkriminellen, der im TV und sogar in Zeitungen wie der taz seine „seriösen Berichte“ von seinen „Parteitagen“ bekommt (statt, wie es angebracht wäre), diese Bekloppten zu ignorieren. Aber nein, weil diese „Lügenpresse“ geschrien haben, muss „richtiggestellt“, muss ja „berichtet“ werden; statt zu antworten: „Lügenfresse Petry“, „Lügenfresse Gauland“, oder wie diese Wichtig-Wichte sonst heißen. Aber nein, sie müssen in die Talkshows gezerrt werden, Frau Maischberger und Frau Will beweisen ihre superhumane „Fairness“ (Leuten gegenüber, denen ein Tritt in den Arsch gehört; und nicht ein Fernsehstuhl unter diesen). Für wie blöd halten die uns? Ohne AfD-Einladung stimmt die Quote nicht? Habt ihr sie noch Alle? Nein, natürlich habt ihr sie nicht. Frage: Warum machen die linksliberalen Journalisten das? Einen Grund dafür kann ich sehen. Die Aufmerksamkeit auf ein Gespenst wie die AfD zu fokussieren, zieht den Blick ab von anderen Herden, anderen Brennpunkten. Syrien, Afrika, Südostasien, Rußland, Indien; die Wege der Rohstoffbeschaffungen in einer Welt, in der fast alle Strippen nicht-öffentlich gezogen werden, laufen hinter den Kulissen; mit Beteiligung der eigenen Regierung, militärisch wie ökonomisch. Kaum ein Journalist, der dort durchblickt. Sie fühlen sich als Ahnungslose, zu Recht. Als Übergangene, als Abgehängte. Die „Weltgeschichte“ fährt mal wieder kräftig Schlitten mit unseren Durchblickerkasten. Und das fällt nicht so auf, wenn man auf andere „Abgehängte“ zeigt, die – angeblich – verantwortlich sein sollen für den überall wahrnehmbaren „Siegeszug“ des Rechtspopulismus. Bullshit! Um 1970 war gut die Hälfte der Deutschen stramm rechts; heute sind es vielleicht 20 Prozent. Wertet man die 4 Millionen ungültigen Stimmzettel der Wahl in Frankreich als Stimmen gegen LePen, was man wohl darf, liegt auch sie weit unter 30% der Stimmen, die 75% der französischen Wahlberechtigten abgegeben haben. Auch Pflaumen wie Wilders in Holland waren und sind chancenlos und sehr wahrscheinlich übersteht auch Herr Kaczynski in Warschau die nächsten Parlamentswahlen nicht (als Sieger). Höchstens Herr Orban im traditionell rechtslastigen Ungarn. Doch diese (Anti-)Schwalbe macht noch keinen rechtspopulistischen Frühling in Europa. Und was der Brexit tatsächlich bedeutet, weiß auch noch niemand, auch die Briten nicht. Ihn einfach als „rechtspopulistisch“ zu verbuchen – und auf die britischen „Abgehängten“ zu verweisen – klärt jedenfalls nichts.

AAA: Denken Sie, dass sich im Sinne des Begriffs der Kontrollüberzeugung etwas verändert hat, z.B. dass Ereignisse heute stärker extern wahrgenommen werden, d.h. als außerhalb der Kontrolle des Einzelnen? Und wäre es dann möglich, dass auf individueller Ebene fundamentale Entscheidungen getroffen werden müssen, wie etwa: Soll ich versuchen, als Guter im Schlechten zu leben oder soll ich stattdessen meine gesellschaftliche Verantwortung zurückweisen und (vielleicht sogar genussvoll) einfach das Schlechte der Welt widerspiegeln?

KT: Das ist doch gar keine neue Frage, sondern gilt schon „ewig“, d.h. seit Adorno diesen Quatsch von „kein richtiges Leben im falschen“ in die Welt gesetzt hat (damit er in Ruhe seinen gutsituierten Ordinarienstiefel weiterfahren konnte. Wirklich der gewiefteste minimal moralist). Wann jemals war „das Leben“ denn „richtig“, wann gab es die Möglichkeit dazu? Doch niemals. Man wie frau und Kind musste immer mit den Gegebenheiten auskommen – die meist schlechte, „falsche“ wenn nicht sogar üble und übelste waren, lebensbedrohende, tödliche. Wann war das Leben denn nicht „außerhalb der Kontrolle des Einzelnen“? Die Frage nach dem moralisch richtigen Leben darin ist und war immer schon unbescheidenes Luxusgerede. Die Entscheidung im Sinn Ihrer Frage ist doch die, ob man damit auskommen will, sein Leben unterm Label dessen zu führen, was man unter „allgemeiner Rechtschaffenheit“ fassen könnte oder ob man freudig „das Schlechte der Welt widerspiegeln“ will, also sich für ein Leben in bewusster Kriminalität entscheidet. Das tun allerdings viele, aber nicht infolge irgendwelcher „neuer“ Entwicklungen; das ist vielmehr auch seit „ewig“ schon ein Generalbass des Lebens in menschlichen Gesellschaften, und zwar überall auf der Welt. „Die Krone der Schöpfung, das Schwein, der Mensch“ befand bündig schon Gottfried Benn im 1. Weltkrieg. Viele entscheiden sich in den laufenden Kriegen bewußt für die Schwein-Seite; nicht nur Erdogan und Gefolge.

AAA: Gibt es dort auf psychologischer oder soziologischer Ebene Ähnlichkeiten zur Mittäterschaft im Nationalsozialismus? Sind die heutigen Männertypen, die auf autoritäre Weise Macht beanspruchen, ähnlich gestrickt oder bedienen sie sich nur einer ähnlichen Sprache?

KT: Sie bedienen sich einer ähnlichen Sprache und sie sind auch ähnlich gestrickt; d. h. ähnlich zerstört oder gestört in ihrer Körperlichkeit, in ihrer Psychophysis. Die manndominierte Unterdrückungs- und Prügelfamilie beherrscht immer noch viele – wenn nicht die meisten – Kulturen der Erde; entsprechend sind ihre maßgeblichen Institutionen, Schulen, Gerichte, das Militär, die Fabriken strukturiert. Befehl und Gehorsam dominieren nach wie vor flächendeckend; und unter den Strafen für Abweichung rangiert nach wie vor das umfassende Töten als Nicht-die-Ausnahme. Die Rechtlosigkeit der meisten Frauen besteht weiter. Auf Seiten ziviler Mehrheiten, wo diese sich äußern dürfen, nimmt das Schurken- und Schweinsein-Wollen, soweit ich sehe, aber eher ab. Und das je mehr im Maße wie moderne Gesellschaften sich femininisieren. Das ist keine Frage von weiblichen MinisterInnen, sondern eine Frage der Frauenbedeutung in den Alltagsabläufen.

AAA: Was passiert im Individuum, wenn es einerseits zu viel Information bekommt, die sich immer schwerer als wahr oder falsch einordnen lässt und diese aber gleichzeitig darauf hindeutet, dass sie mit einer vorher nie gekannten, immer komplexeren und undurchdringlicheren Gesamtstruktur zusammenhängt? Führt dies zu einem Gefühl der Machtlosigkeit und Depression oder zu rücksichtslosem, aggressiv-konkurrierendem Verhalten?

KT: Das kann zu beidem führen und tut es auch. Aber ich wiederhole: die gesellschaftlichen Strukturen mögen zwar komplexer geworden sein, die Fähigkeiten aufgeweckter Mitbürger, diese zu kapieren, aber ebenso. Das Gefühl der „Machtlosigkeit“ ist dabei nicht nur nicht schlecht; es ist geradezu die Bedingung zum Einschlagen ziviler Wege, die sich am Wohlergehen von Mitmenschen orientieren. Das Gefühl von Macht, d.h. das Gefühl von Grandiosität, behindert vernünftiges, wahrnehmendes Verhalten. Nichts schlimmer oder blöder als die Grandiositäts-Trompeten. Einsicht in die weitgehende eigene Ohnmacht ist der erste Schritt zu besonnenem vernünftigen Handeln.

AAA: Hat nicht, auf theoretischer Ebene, die horizontale Organisation von Information im Internet und der dadurch entstandene Wegfall von als sicher geglaubten Bedeutungen und der daraus entstandene Relativismus der Meinungen einen anarchischen, herrschaftsfreien Raum geschaffen, in dem ein Verlangen nach autoritärer Macht und Richtungsweisung entstanden ist, das nun bedient wird?

KT: Im Internet und in der rapide fortschreitenden Elektronisierung/Digitalisierung aller Lebensbereiche liegt in der Tat eine entscheidende Differenz zu allem Gesellschaftlichen, wie wir es bisher gewohnt waren. Die kurzzeitige schöne Hoffnung auf eine demokratisierende Graswurzelentwicklung in der vernetzten Welt hat sich nicht erfüllt. In der Tat ist eine Art „Machtvakuum“ im Internet entstanden; und – wie immer – bleibt so etwas den verschiedensten Gangsterinitiativen und –organisationen auf der Welt nicht verborgen. Sie pflegen in die Vakuen einzuströmen, ob der IS in den Nordirak oder die politische Gangster-Rechte ins Netz. Das „links-grün-versiffte“ öffentliche Bewusstsein hatte sich, nach den Reaktionen auf Fukushima und die Konzentration auf die endlich scheinbar gelingende Verminderung des CO2-Ausstoßes und weitere ähnliche Entwicklungen zu schön schon selber eingelullt mit den freundlichen Vorstellungen vom Weg der Welt(en) in ein besseres ökologisches Dasein. Nun scheinen sie davon geschockt, dass die rechten Klopper und Oberarschlöcher immer noch nicht verschwunden sind. Liebe Freunde, das dauert noch eine Weile; kann aber passieren. Nicht allerdings auf den Wegen von (ebenfalls) Oberidioten wie Badou oder Zizek, die mit abgehalftertem Lenin-Terrorismus die Welt auf die Ebene der „asiatischen Produktionsweise“ (die schon unser alter Genosse Rudi Dutschke vehement kritisierte) zurückquatschen wollen (zu mehr sind sie, glücklicherweise, nicht in der Lage). Ohnmächtig, glücklicherweise, auch sie.

AAA: Welchen kulturellen Effekt glauben Sie hat diese Entwicklung? Ich habe den Eindruck, dass es auf der Seite der Künstler, Kritiker, Journalisten etc. eine sehr hohe Bereitschaft gibt, etablierte Institutionen mit allen Mitteln zu verteidigen, aber sehr wenig Willen, sich mit Erneuerungen oder Definitionen auseinanderzusetzen, die es mit der autoritären Gewalt aufnehmen könnten.

KT: Die autoritäre Gewalt ist in einer Gesellschaft wie der unseren nicht das Hauptproblem. Von daher ist die Bereitschaft zur Verteidigung bestehender Institutionen nichts Verwerfliches – die Möglichkeiten ihrer weiteren Demokratisierung immer mitgedacht. Auffällig ist allerdings der Mangel an Wahrnehmung dessen, was auf den diversen technologischen Entwicklungsebenen geschieht. Ich las kürzlich in der Besprechung eines Sammelbandes mit Texten der (sich selbst so empfindenden) Links-Elite des politischen europäischen Spektrums, Zizek u.a. – besprochen von Günter Seibt in der Süddeutschen – dass dort jeder Hinweis auf den globalen Vorgang der elektronischen Digitalisierung fehle. Da kann man ja nur lachen, so Seibt, oder traurig zustimmen. Wie rückständig (und weltblind) kann man denn sein, als „linker Theoretiker“? Unsere überregionalen Zeitungen sind da etwas weiter; inzwischen ist immerhin ein „Wissensteil“ dort obligat (neben dem obligaten der Wirtschaft). Und man lernt dort was – ich jedenfalls.

AAA: Glauben Sie, dass die Menschen ein kognitives Limit erreicht haben und uns ein großer Schritt in Richtung Cyborg bevorsteht, da sie biologisch mit dem technologischen Fortschritt nicht mehr fertig werden? Und, falls die Mittel zur Programmierung schon in den Händen der üblichen Konzerne sind, wie könnte man einen Anreiz dafür schaffen, moralisches Verhalten in Künstliche Intelligenz einzubauen?

KT: Ich verweise in dem Zusammenhang gern auf das Buch von Ian Morris Why the West Rules – For Now von 2010; dt., bei Campus, Wer regiert die Welt? Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden. Dieses Buch ist die genaueste Bestandsaufnahme der Entwicklung der Kulturen der Erdbewohner der letzten 15.000 Jahre. Morris, von Haus aus Archäologe, gräbt auf allen Gebieten nach und kommt zum Schluss einer – sagen wir es gelinde – sehr wahrscheinlichen Apokalypse des Menschheitsschicksals auf unserem Planeten, wenn nicht, ja: wenn nicht!

Kultur- und Menschheitsuntergänge in der Erdgeschichte hat es schon mehrfach gegeben, in Abständen von Jahrtausenden. Wir sind die erste Menschheitsgeneration, so Morris, die das Privileg genießt, sehend in den Untergang zu gehen. Wir haben die Daten, die den drohenden Untergang – weitgehend wissenschaftlich abgesichert – belegen; soweit man Zukünftiges überhaupt belegen kann. Das Abschmelzen der Polkappen führt – so es nicht gestoppt wird – mit Sicherheit zu derartigem Anstieg des Meeresspiegels, dass man sich nur über Zeitpunkte streiten kann, zu denen die desaströsen Folgen auftreten; nicht aber mehr über die Art dieser Folgen selber. Dass wir die Daten haben, also wissend sind, über das, was kommt, wenn wir nichts dagegen tun, ist für Morris jedoch ein Anlass der Hoffnung. Der moralischen Einsicht von Menschen (und Computern) vertraut er dabei nur eingeschränkt. Sie können helfen, aber das wird nicht reichen. „Die Menschheit“, wie sie momentan vorliegt, ist zu zerstritten, zu uneinsichtig, zu sehr beschäftigt mit der weiteren Aufbauschung historisch längst überholter Probleme – wie z. B. Nationalstaatsgewese; genauer gesagt: sie ist schlicht zu dumm, den sich ankündigenden Bedrohungen zu begegnen.

Mit anderen Worten: sie ist ihrer Technologie weit hinterher. Diese Technologie ist aber nicht per se böse, im Gegenteil. Was er folgert: Ohne technologisch-digitale Bio-Aufrüstung ist die menschliche Gehirnpotenz überfordert mit der Lösung der anstehenden Probleme, insbesondere zur Lösung des Problems des Klimawandels. Überall in den Labors der technologisch fortgeschritteneren Gesellschaften der Erde wird daran gearbeitet, in den Wissenschaften, den Industrien und im Militär, den Bio-Chip zu entwickeln, der sich in die menschliche Haut, die Muskulatur und ins Nervengewebe so einbauen lässt, dass eine wirkliche Potenzierung der menschlichen Denk-, Gefühls- und Vernunftpotentiale das Resultat ist, ohne dass diese Geschöpfe zu den – in der SciFi-Literatur unentwegt beschworenen – Monstergestalten werden. Das erste – und dringend benötigte – Resultat wäre die Einstellung der momentan noch laufenden (und an vielen Stellen sogar zunehmenden) Konflikte zwischen verschiedenen Staats- und verschiedenen Ethno-Gebilden. Schluß mit dem Kriegs-Schwachsinn; sonst wird es nichts mit der glimpflichen Global-Errettung (womit Morris, wie er auch betont, nur eine Einsicht des greisen Albert Einstein aufgreift und fortführt). Schluss mit der Unterdrückung von Frauen durch Gestalten, die sich „Männer“ nennen, aber gewalttätige Flaschen sind. Haarsträubend auch – für mich – ist dabei die in vielen grünen und veganen Kreisen fortdauernde Abwehr von technologischen Entwicklungen, die sich selbst eine natürliche dünkt; sich als der Natur näher versteht, aber leider bloß bekloppt ist. Wer nicht kapiert, dass z.B. die Entwicklung der Nano-Technologie den natürlichen Naturprozessen viel näher ist als die blinde Bekämpfung von aller Chemie (wobei doch die Chemie primär eine Naturwissenschaft ist, wenn man sie entsprechend betreibt) dem ist ohne biochemisch-elektronische Aufpäppelung der eigenen Fähigkeiten kaum zu helfen. Morris entwirft schon für unsere Kinder- und dann Enkelgeneration klar den Cyborg mit ungeheuerlich entwickelter Intelligenzpotenz – jeder Mensch potentiell eine Bibliothek, eine Datenbank, ein zweibeiniger Großrechner als Überlebensnotwendigkeit; eine Kreatur, ausgestattet mit gesteigerten humanen Potentialen; Cyborgs, die sich so aufbauen bzw. die so aufgebaut und neugeboren werden, dass sie in der Lage sind, für die Globalmenschheit zu handeln und nicht gegen sie. Sein Wort in Gottes Ohr? Pfeifen Sie drauf. In unser Ohr; in unser aller Ohren, da gehört es hin. Sagt Ohrendoktor Ian Morris – der informiert ist wie kaum ein anderer über den Versehrtheitsgrad unseres Planeten. Natürlich müssen die Großtrompeten, die Putins, Trumps, Xings, die Konzernherrn sowie die anderen Groß- und Mittelfürsten der eurasiamerikanischen und afrikanischen Ur- und Unmenschentümer ihre Konflikte einstellen und simpel – ganz simpel – kooperieren. Morris glaubt, das geht, wenn sie nur mal auf die Daten schauen und zur Kenntnis nehmen, was dort steht; nicht in den Sternen steht, sondern in Messungen.

No one wins, it’s a war of men, wußte Neil Young schon in den 70ern zu singen. Stimmt immer noch; stimmt mehr denn je.


The questions were answered on May 8th 2017, the day after the French presidential election.




Present Tension: Notes on Preemption, Hyperstition, Contemporary Art and the Post-Contemporary Condition (Excerpt)

by Armen Avanessian


I - The Post-Contemporary Condition

The basic condition of our culture and of our technological world, which means also our daily life, can maybe be described as post-contemporary. We no longer live in a world where we have access to the present, instead the direction of time itself has changed – where, in our present 21st century, time in the most fundamental ontological sense, comes from the future and not from the past. We can not understand our present, or gain traction in it, by only explaining the present through comparisons with the past. Instead what the concept of the “post-contemporary condition” is trying to grasp is how the present is coming from the future and why time cannot be understood with traditional philosophical tools or time philosophical concepts any longer.

This speculative constitution of time is what Suhail Malik and I call the time-complex – something that has strong ramifications for our serious doubt about contemporary art which utterly fails in gaining traction in the present (which it nevertheless constantly tries) and is victim to the belief of getting access to the present via presentness and experience. Contemporary art’s ‘criticality’, its fetishization of the ‘event’ and its aestheticization of individuated experiences are all related to this very misleading and impossible phantasma of presence and are inherently modernist ideas that are not appropriate for our post-contemporary condition. Instead of trying to explain the present via the present, the ideas of the time complex and the post-contemporary can be part of a methodology to under- stand the present from the future – to see how far these concepts explain this condition, what kind of territory they make visible, how they shape this territory and if it manages to produce a cognitive mapping or cartography of the terrain it focuses on. And, furthermore, I am interested if these concepts can be used to manipulate my surroundings or the institutions I work with or even the genre of contemporary art.


Postscript - Art, Theory, Politics

It is a well known fact that today it is only the secret services that are competing with transnational corporations such as Facebook or Google over the most important resource of the 21st century – information and data. But the problem is that their actions and agendas are less and less democratically legitimized or orientated according to the constitution of their respective countries. As a response to this, Alexander Martos and I thought an alternative Intelligence Agency* (an intelligent agency which would actually work in the interest of the sovereign, the people, instead of being at war against it) would be an interesting hyperstition – not only as another attempt to regain control over information, but also by trying to think in a new way about the possibility of such things as private or public or even national sovereignty in the age of ‘Big Data’. It is important for the idea that all this happens under the eyes of the public – because it is materializing in the context of a Biennial, which is after all financed by public money. The plan is to develop an architecture that can provide the concrete setting in order to deal with the increasing tension between the democratic demand for transparency on one hand and secrecy practiced by intelligence services on the other and to build a stage for this tension with artistic or poetic means.

Boris Groys has recently reminded us that art is no longer about producing objects (although that’s of course still done in order to satisfy speculative capitalist needs like money laundering), but is instead busy producing information about events and documenting them online. Together with this transformation we are also witnessing a new prominence and function of theory, no longer the boring one of pretending to explain art works or a contemporary art in general which has long lost any potential to irritate anyone, but instead, according to Groys, theory today is important for artists themselves, because they are in need of explaining what they are doing to themselves. I think it is a call for change, a performative imperative of theory, and what’s at stake here is a poetics – Groys himself talks both about the danger of an aestheticization of theory as well as the insufficiency of aesthetics today – a poiesis or active production of knowledge.

It is necessary to get a better understanding and experiment with discourse as a practice which also means actively producing new knowledge – it means to experiment with theories and practices in a recursive way, instead of the usual reflective or critical mode of just thinking about things. What is maybe most important is to fight against the predominant academic and artistic isolationism and invent collective ways of thinking and doing. For now our attempt is to construct a stage in order to bring different discourses into communication that usually wouldn’t communicate with each other (activists and theorists, tech-people and lawyers, or even different humanities discourses etc.) and beyond that: make them produce something real while speculating on a different reality.


*DISCREET – An Intelligence Agency for the People is a project for the 9th Berlin Biennale.







Nadel und Ballon (Original German Text)

by Roberto Ohrt


Im Rahmen der 70er Jahren wäre Rem Koolhaas wohl den spekulativen Phantasten zuzurechnen, entfaltete er sein Wissen doch auf einem Gelände, das damals kaum jemand einer ernsthaften Betrachtung für würdig gehalten hätte; so konnte er von einer gewissen Verblüffung im Publikum ausgehen. Immerhin ahnte er, was den Vorfahren des Homo Ludens in der Zukunft drohte, als er sich mit einem Ort ihrer Vergangenheit beschäftigte: Learning from Coney Island. Er ahnte auch, dass neue Formen der Massenunterhaltung in die Innenstädte kommen würden und die Verteufelung dicht besiedelter Großstadtviertel als Brutstätte des Verbrechens ausgespielt hatte. Delirious New York offerierte 1978 also einen eher ungewohnten Denkraum, wurde aber ein Jahrzehnt später schon von der Wirklichkeit eingeholt. Seitdem können wir nur hoffen, dass die Kultur der Events ebenso schnell herunterbrennt wie die Kulissen des Vergnügungssparks am Strand von New York.



The Latting Observatory and the dome of the Crystal Palace introduce an archetypal contrast that will appear and reappear throughout Manhattan's history in ever-new incarnations.
The needle and the globe represent the two extremes of Manhattan's formal vocabulary and describe the outer limits of its architectural choices. The needle is the thinnest, least voluminous structure to mark a location within the Grid.
It combines maximum physical impact with a negligible consumption of ground. It is, essentially, a building without an interior.
The globe is, mathematically, the form that encloses the maximum interior volume with the least external skin. It has a promiscuous capacity to absorb objects, people, iconographies, symbolisms; it relates them through the mere fact of their coexistence in its interior. In many ways, the history of Manhattanism as a separate, identifiable architecture is a dialectic between these two forms, with the needle wanting to become a globe and the globe trying, from time to time, to turn into a needle – a cross-fertilization that results in a series of successful hybrids in which the needle's capacity for attracting attention and its territorial modesty are matched with the consummate receptivity of the sphere.

Diese Passage aus dem ersten Kapitel des Retroaktiven Manifests für Manhattan mochten manche wie eine Kritik gelesen haben, aber Koolhaas wollte das Gegenteil; er schrieb eine Eloge auf New York, angereichert mit einigen Zumutungen, die nur dem Durchschnittskonsumenten den Geschmack an der Sache verderben sollten. Auch das Motto „From Fair to Fair“ verrät eher zufällig die Sorge der nomadisierenden Geschäftsleute von heute. Dass er zudem glaubte, wie ein weitblickender Seher auftreten zu müssen, können wir gleichfalls ignorieren, denn sein emblematisches Motiv hat einen anderen Nutzen; es trifft, vor allem in der Zuspitzung seiner Beschreibung, das Problem der Neubauten, die seit Anfang der 90er Jahre überall in den kleinen und großen Metropolen der Welt hochgezogen werden – was nichts mit irgendwelchen „Arche-Typen“ zu tun hat, die im Boden, im Bauch eines „Archi-Tekten“ oder sonst wo schlummern. Der Erfolg des Kontrasts von Nadel und Kugel entspricht ganz einfach einer Epoche, die das Ende der Moderne besiegelt und dennoch ein auffälliges, ein aktuell wirkendes Äußeres braucht. Der Übergang in die Stadt als eine schrittweise Vermittlung von innen und außen, die Transparenz der Funktion ihrer Elemente und die Anerkennung der Straße als Bereich der Anonymität – nichts dergleichen ist für diese Bauwerke von Bedeutung. Die Eigenschaften von Stahl und Glas, seit dem Ende des 19. Jahrhunderts das bevorzugte Material der Moderne, verlieren sich im Spiegel einer Fassade, die mit halluzinogenen Effekten überspielt, wie minimal, um nicht zu sagen ärmlich, das Angebot ihrer Möglichkeiten ist. Nebenschauplätze, Seiteneingänge, Nischen, Durchblicke, Vorhallen, Unterstände – das alles wird systematisch vermieden, ist eingeebnet. Großflächig eindimensional und opak wird die Außenhaut angelegt, Kennzeichen einer neuen Festungsarchitektur, die sich nicht nur in irrealer Ungreifbarkeit gefällt; sie findet in der uniformen Glätte ihren Schutz, die Ausblendung des Äußeren, und sie sucht im selben Stoff die Bestätigung der Vorstellung, unabhängig von der begrenzten Gegenständlichkeit an einem bestimmten Ort zu sein. „Austausch“ und „Kommunikation“ werden von der Prägnanz ersetzt, mit der ein Bau seine Präsenz in der Medienlandschaft behaupten kann. Je mehr die virtuelle Fernwirkung gelingt, desto weniger fällt auf, dass es an der Öffnung in die unmittelbare Umgebung mangelt. Das hat System – und wird zum System. Kein Fremder soll die Trennung von Innen und Außen irritieren, kein Besucher wird hier ohne Papiere eintreten; das ist das Credo einer Lebenswelt, die ihre Gäste mit dem Hausrecht von Türstehern und Securityfirmen empfängt.

Die Kultur des Ausschlusses und der Selektion hat mittlerweile das umständliche Getue einer alt gewordenen Welt, aber sie ist jüngeren Datums; sie kam erst mit der Umkehrung des Trends, der nach dem 2. Weltkrieg das Schicksal der Großstädte bestimmte: die Flucht aus den dicht besiedelten Zentren ins Einfamilienhaus „auf dem Land“. Jahrzehntelang war der Wunsch nach dem Idyll, unterhalten von gefälschten Statistiken und häßlichen Medienkampagnen, die einträgliche Geschäftgrundlage für Investitionen im Immobiliensektor, doch in den 90er Jahren verlor das süßliche Bild an Einfluss. Die Bürger wollten offenbar doch in den Zentren leben, kehrten allerdings nicht ohne ihre vergitterte Gemeinschaftwelt im Kopf zurück – und die Politik bestätigte ihnen gern, dass ihr Wunsch durchsetzbar sei. Seitdem krümmen die Vorbehalte gegenüber der Straße den öffentlichen Raum, spannen ihn in der Gewalt unbeirrbarer Kontrollphantasien. Eine hysterische Logik der Überwachung beherrscht die City, eine vollkommen unbegründete Übertreibung von Gefahren, die rigoros dem Körper des Anderen zugeschrieben werden, eindrucksvoll konsequent inszeniert in dem Science Fiktion I am Legend.

Ganz New York gehört in diesem Horrorstreifen einem einsamen Onkel Tom, der Schaufensterpuppen wie Freunde anspricht und alle übrigen Bewohner nur als tollwütige Wölfe kennt. Dass der brave Held der Akademia vom Washington Square seine Monstren mit dem Rückzug ins Private selbst produziert, bleibt ihm ebenso verborgen wie die Schönheit einer Metropole, die vom Gras der Steppe erobert wird. Elegante Gazellen traben im Rudel über den trockenen Asphalt. Löwen trotten träge auf eine Kreuzung, um die Mittagssonne zu genießen. Der Film imaginiert das Happy End für die gesamte Menschheit dennoch fern der Strassenschluchten von Manhattan, versteckt in den Wäldern in einer Gated Community von gigantischen Ausmaßen; er kam allerdings erst 2007 in die Kino, und in dem Jahr ließ der Weltmarkt die größte Immobilienblase der jüngeren Geschichte und ihren Bestseller, eben jene Gated Community, platzen.

Zur gesäuberten Stadt und dem imaginären Ausnahmezustand der Straße gehört das festliche Großereignis als der Moment, der die Familien in den öffentlichen Raum hinausruft. Mit ihren Kindern sollen sie nun Vergnügen am größeren Ganzen haben, in die fröhliche Massenunterhaltung eintauchen und den einfachsten Angeboten nachgehen. Zum diesem anderen Treiben auf den Plätzen passen die silbernen Luftballons, die über den Köpfen der Menge tanzen – und mit ihnen die kindliche Hoffnung, dass alles so bleiben könnte, das Leben erfüllt vom Gas der Schwerelosigkeit, der Raum durchzogen von einem Spiegel, den kein Gewicht um seine glänzenden Bilder bringen wird. Das Kind weiß noch nicht, dass der Hase mit der lustigen Wurzel in der Hand ein Zeichen der Venus ist. Es freut sich ganz einfach am Hoppeln und Glitzern, dem unbeschwerten Unsinns, der den Ausflug in die City bestimmt. Und selbstverständlich soll kindliche Naivität immer noch dabei sein, wenn Erwachsene den Bunny als Geschenk einer ganz anderen Versprechung anfassen, ein tolles Wunderwerk, prall gefüllt mit Begeisterung und so simpel wie das Kreischen am Rand einer sportlichen Veranstaltung oder ein Knallkorken, der zur Freude aller durch die Luft schießt.

Gegen Ende der 80er Jahre kam der Film Who framed Roger Rabbit in die Kinos, ein ziemlich merkwürdiges Produkt mit einigen sehr feinen, nahezu unsichtbaren frames. Natürlich hatte der Titelheld – ein weiterer, extrem sprunghafter Bunny – an seiner Seite wieder die phantastische Venuszeichnung, diesmal ein schamlos aufgedonnertes Kurvending, das mit jeder Drehung dem Seufzer über die Gefangenschaft in der eigenen Verführungskraft plastische Anschaulichkeit verleiht: „I am not bad; I am just drawn that way“. Die Mischung aus Cartoon und normaler Filmwirklichkeit zeigt sich am Anfang als illustrierte Analyse verschiedener Rauschmittel und ihrer Nachwirkungen. Zunächst geistern die Toons herum wie die Reste des Whiskys, der am Vorabend auf dem Programm stand, vertraute Halluzinationen des Hangovers, mit dem der Detektiv der Story am Morgen seinen Aufträgen nachzugehen beginnt. Und wenn er im weiteren Verlauf der Recherchen ohne den Schutz der Normalität in die Landschaft des Zeichentricks einfährt, treiben die Bilder wie ein ungebremster LSD-Trip über die Leinwand.

Die ToonsCar wurde aus dem Wort gestrichen, vermutlich sogar mit der Absicht, die Mobilität der Animation ohne das Auto zu haben – Toons sind hauptberuflich als schlecht bezahlte Nebeneffekte in der Unterhaltungsbranche tätig. Sie liefern den Produkten, was kein anderer so billig hergeben würde; sie sind – wie es heute wohl heißen würde – der farbige Migrationshintergrund: helfende Hände und flinke Beine, zielsichere Kugeln und flatterhafte Kussmünder. Nach der Arbeit verlassen sie die Hallen des Studioalltags, um in einem abgelegenen Viertel ihren eigenen Remmidemmi zu leben, doch diese verdrängte Welt soll nun einem Highway weichen. Die dunklen Handlanger der Autoindustrie wollen das grelle Toon Town aus der Stadt wegspülen, notwendige Konsequenz des Plans, die Konkurrenz der Straßenbahn los zu werden; was wiederum ein Märchen ist, das in Los Angeles tatsächlich stattgefunden hat. Dort gab es einmal „the best public transportation system in the world“, bis General Motors den Betrieb aufkaufen ließ, um ihn sogleich einzustellen, ein Vorgehen, das in etlichen US-amerikanischen Städten um die Mitte des 20. Jahrhunderts angewandt wurde, zum Vorteil von Motown und den schönen Folgen des Individualverkehrs.

Zwei Jahre vor Who framed Roger brachte Jeff Koons seinen Rabbit ins Spiel, ein Ready Made der besonderen Art. Seit es Pop oder die Wiederverwertung von Billigprodukten der Warenwelt in den höher gelegenen Schauräumen der Kunst gab, stand die Möglichkeit eigentlich jedem offen; sie war nur allzu sehr mit Andy Warhols Namen verbunden (oder mit der Ästhetik von James Rosenquist, der sich später zu Recht wundern sollte). Koons stellte 1986 die Logik der einfachen Aneignung kurzerhand auf den Kopf. Denn das ist das Äußere und Ganze einer Brillo-Box: zwei Farben mit dem Sieb auf einen weißen Kasten gedruckt, eine Effektivität, die an Ärmlichkeit kaum zu überbieten ist. Bei dem Ballon vom Jahrmarktrummel wirkt der Transfer genauso verblüffend und direkt, doch hauchdünne Spiegelfolie in rostfreiem Stahl zu gießen, ist um einiges kostspieliger und schwieriger, was bei dem umsichtigen Künstler natürlich zum Kalkül der Sache gehörte, allerdings nur bis zu einem gewissen Grad. Als Koons seine Idee Mitte der 90er Jahre in Serie gehen ließ, den bestellten Kindergeburtstagsspaß ins größere Format brachte und gleich eine ganze „Werkfamilie“ in Auftrag gab, ruinierte er mehrere Firmen und fuhr seine Karriere an den Rand des Ruins (das hatte er sicherlich nicht eingeplant, aber davon sollen andere berichten).

Bleibt noch anzumerken, dass zu den Voraussetzungen des Coups mit dem Hochglanz-Bunny auch die Kunst von Marcel Duchamp und Constantin Brancusi zu zählen wäre. Die beiden waren bekanntlich gut befreundet und einander geschäftlich verbunden. Duchamp verstand sich offenbar bestens darauf, die Skulpturen des Rumänen in amerikanischen Museen und Sammlungen unterzubringen. Daher war ihre Kunst, als sie an Bedeutung gewann, in den Staaten sehr präsent. Außerdem sei – um nun zum Rabbit und ins Reich der Venus zurückzukehren – darauf hingewiesen, dass die geschätzten Klassiker der europäischen Avantgarde nicht nur den Begriff der Bildhauerei grundsätzlich verwandelt hatten. Im strahlenden Glanz des industriell gefertigten Produktes entkleideten sie die Lust an der Verführung durch die moderne Dingwelt: bei Brancusi war eine Prinzessin nicht mehr vom Objekt ihrer Begierde zu unterscheiden, bei Duchamp erschien der „Brunnen“ als ein fertig gegossenes Stück Porzellan, das alle Hinweise auf den Akt der Entblößung wie ein Ding der Unschuld abstreifen will – und das Unerwünschte dann doch im nassen Stein verewigen musste.

Nach der Geschichte mit dem Bunny hat Koons sich vermutlich des öfteren den Einwand anhören müssen, sein anzügliches Spiel mit Enthüllung, Rausch und Genuss bleibe zu sauber; er wolle wohl auch das Geheimnis des Alkohols noch ganz unberührt und jungfräulich verkaufen. Die Heirat mit Cicciolina entzog diesem Vorwurf überraschend drastisch den Boden, allerdings nur für kurze Zeit, und bald ging auch der Erfolg seine eigenen Wege. Das war dem unsentimental gesetzten Marketing des Newcomers durchaus anzumerken. Als der amerikanische Sonnyboy und die italienische Venus Anfang der 90er Jahre zum Pressetermin einer Ausstellung in Köln erschienen, erwartete sie dort ein Pulk von Journalisten, alle mit schweren Fotoapparaten bewaffnet. So etwas hatte der Galerist in seinen Räumen noch nicht erlebt: Jeff und Cicciolina postieren sich vor einem der Exponate, handliche Glasskulpturen aus Murano, die sie beim unverhüllten Liebesspiel zeigen, Cunnilungus, Ilona on Top, Blow Job – jede der polierten Positionen so durchsichtig wie ein kleines Glas nur sein kann. Die Fotografen halten einsatzbereit Abstand, stehen zwei, drei Meter entfernt, und das Paar erwidert die Aufmerksamkeit mit ungerührter Professionalität: geduldiges Lächeln, leichte Variation des Dastehens, verhaltene Ruhe. Die Situation gleitet langsam an den Rand eines Stummfilms, da wenden die Beiden sich von der Medienpräsenz ab, nehmen einander höflich in den Arm und beginnen einen Kuss, was die Journalisten sofort in Erregung versetzt. Der Haufen drängt zischelnd zusammen und rückt näher, ein hundertäugiges Monster, das ohne Unterlass mit seinen mechanischen Wimpern klappert, jeden Hals reckt, alle Finger bewegt, die Knöpfe drückt. Erst als das Paar voneinander läßt und wieder in die Kameras schaut, kehrt eine gewisse Entspannung zurück. Der Stummfilm beginnt erneut seinen Lauf, ein Lächeln, Ruhe. Dann drehen die Beiden wortlos ab, treiben geräuschlos einige Schritte weiter und finden einen anderen Sockel als Standort für ihren Anblick. Das Ungeheuer schiebt nach, hält aber den gleichen Abstand und harrt der Dinge so handzahm wie ein trotteliger Hund, der seine Augen nicht von den Lippen seines Herrchens lassen kann. Und schon kommt es auch dort zum Kuss, und wieder wird das Monster am ganzen Körper von zittriger Erregung gepackt, klackert und klappert mit allem, was es an Pupillen, Blitzen und Objektiven an sich hat.

Nachdem „Made in Heaven“ als ein schreckliches Scheidungsdrama sein Ende gefunden hatte, verlegte Koons sich kurzfristig auf die Natur der Parks und ließ riesige Geschöpfe aus Blumen im Freien aufbauen. Das überdimensionierte Gartenspielzeug erinnert sogar ein wenig an den Pulk Journalisten, der von der Erregung über einen Kuss geschüttelt wird, vor allem wenn der Gärtner das Pflanzentier nicht jeden Tag pflegt und die Flora überall aus dem Fell schießt. Dann kam Celebration. Dem Bunny und der infantilen Vorfreude sollte sich nun die Welt der großen Museen öffnen. Der neuen Produktreihe wurde eine entsprechende Aufmerksamkeit garantiert, noch bevor irgendetwas vom Guß in eine entgültige Form getrieben war; und genau das gestaltete sich extrem schwierig. Jahr für Jahr musste die Tournee verschoben werden. Als es schließlich losging, stand sogar das Schloß von Versailles auf dem Spielplan. Doch auf dieser Bühne hatte die Gewalt der Wirklichkeit die Kinder der Venus fest im Griff. Je größer ein Ballon Dog aufgeblasen wurde, je mehr er seinem mächtigen Besitzer das dralle Hinterteil hinhalten durfte, desto weniger war vom Auftakt der Geschichte noch zu spüren, vom Problem einer Nadel, die ihren Ball nicht mehr zum Platzen bringen kann, weil er aus demselben unzerstörbaren Material gegossen ist.



Ob Koons den stählernen Luftballon als Symptom einer Epoche wahrnahm oder ob er sich nur von der verwirrenden Vielfalt der Deutungsmöglichkeiten überwältigen lassen wollte, ist letztlich zweitrangig. Der Bunny machte für einige Jahre den Distanzverlust sichtbar, der nach dem Ende des kalten Krieges durch die Städte fuhr und wie ein gegenstandsloser Schrecken dem öffentlichen Raum die Luft nahm. Mittlerweile ist die Glanzfolien-Architektur so bekannt wie die Misere selbst. Die Leere und das Fest, die Naivität und der Schein, die feine Nadel und der große Ballon, der Blick von oben und die Entfernung im Detail – in diesem Bild haben die Städte ihren Inhalt verspielt. Die halluzinogene Fassade hat das Instrument ihrer Zerstörung in sich aufgelöst und muss nun mit einer paranoiden Verzerrung der Wirklichkeit leben. Das war in gewisser Weise dem Bunny schon eingeschrieben: er könnte wohl fliegen, aber was wäre das im Vergleich zum Vogelflug.

Dass Koons mit seinen Objekten nur ein Geschäft betreiben wollte oder das falsche Spiel zum strahlenden Silber wie der Schein zur Kunst passt – wäre nun doch etwas einfach, ist Theoriekitsch. Das Vertrackte an dem Bunny liegt eher dort, wo nicht nur der Fotograf mit seiner Kamera aus der Oberfläche wegradiert werden muss, der Magie einer einsamen Schöpfung zuliebe, sondern auch die Verblüffung über ein Ding verloren geht, das der Erfolg in der eigenen Unzerstörbarkeit begräbt. Zu den dunklen Geschäften, die im Inneren der unerschwinglichen Sache verortet werden, mag als Hinweis reichen, dass dort am Anfang eigentlich nur Helium war. Wer dieses Gas einatmet, hat für eine kurze Zeit eine fremde Stimme, so fipsig wie die von Roger Rabbit oder anderer Toons. In einem „Koons“ braucht es kein Helium mehr. Andererseits ist das gute Stück aufgrund der „herrschenden Besitzverhältnisse“ so unbeweglich oder geschützt, dass es in Zukunft immer nur in gefügiger Theorieumgebung und kontrollierter Nachbarschaft stehen wird. Die Kultur des Ausschlusses läßt keine unerwünschten Interpretationen zu und kann falsche Fragen ohne weiteres ausblenden, subjektiv zumindest. Jason Rhoades hatte von dieser Unverfügbarkeit eines Tages genug und wählte den schäbigsten „Druck“, um den hohen Kunstwert wieder auf den Boden der bewegbaren Realität zu bringen. In gewisser Weise gab er der Sache auch den Brillo-Effekt zurück, nur durfte diesmal der Schaden nicht fehlen, den die Pop-Kunst auf ihrem steilen Flug in die Anerkennung genommen hatte.

 


Editor's comment - December 2015


The race is on. Everyone's at full throttle. If you already had property rights and an audience, that got accelerated in a really large way – like each figure doubling up multiplying at rates beyond comprehension. Something ballooned, popularity became abstract numbers, what you see on the internet are many many maxed-out self expressions. Never before can you see such a mass of individualized, accessorized mediums that despite being “maximalized” give us only a feeling of a solid middle ground. The artists are trying their best not to be mediocre, trying their best to differentiate but without any success because it seems everyone else of the same work class is doing exactly the same thing. What's then limiting human potential? Why can an individual not stand out even though they're trying at their maximum capacity?

The problem starts at the very beginning. Many artists are trying to fit in to a culture and are therefore inheriting its inherent design faults, its cultural bad decisions that have accumulated over years. Many artists for instance, 5 years ago, were cynical which evolved into a kind of ridiculous satire – both inaccessible and very difficult to penetrate from the outside let alone for others to take up where they left off. In looking at art with these conceptual design faults, it is no wonder that many artists follow similar patterns of art production – often surface level responses to what they see or superficial reactions to bodies of work that were given a lot of attention for a short moment. When encountering a seemingly persuasive already existing relevant art movement for the first time, it is easy to try to get involved with it whilst at the same time making the same creative mistakes. The problem starts with the fact that the artist is already too late to overcome the inherited perimeters of the medium they're seeking to absorb and therefore end up echoing it. It is better for an artist to start from scratch and build their own context, taste, references and image construction than to look towards their dash for answers.

Every cultural time has its own forms. When historians look back on the past 5 years in art, they will also see how it relates to the economy, a millennial generation feeling the ricochet effect of the rise of commercial painting which surged in the aftermath of the crash. Many millennial artists are only beginning to comprehend the bubble culture that has created huge market careers decontextualising them from their cultural relevance into a different sort of relevance that may at first seem more important. Now that another bubble has burst, namely the Flip one, it only seems natural that there are a whole new set of bubbles waiting to be inflated: from feminist art to art dealing with prescient news topics such as migration, ecology, civil rights movements and sexual identity, and a shift towards hiding the bubbles behind ethics, good causes and a more human face. However it doesn't affect the fundamental economic mechanism itself – the necessary Boom-Busting that creates short term meaning and wealth in which artists respond by giving them more artistic credit than is due.

Despite artists having witnessed many cycles of Boom-Bust escalation in art, it seems like our collective memory doesn't cast itself further than a very immediate future. This could be for a number of reasons: the sentient feeling of a collective approval for a certain expression of “good” in art (often accompanied with market reward) or perhaps because of a mass longing to be part of the construction of history (rather than being at its mercy) offering us empowerment against very incomprehensible deterministic larger powers. It seems ironic that the Internet has been a catalyst for increasing the density and shorter time spans between bubbles and whereas the internet user can easily browse through their history, they don't. Rather the internet moves us forward as consumers and reactors rather than reflective contemplators of our informational timeline and it's underlying déjá-vu.

This means it is not information that's the problem – it's rather our processing of it and the disproportionate importance we place on immediate relevance. Given our knowledge of relevance, wouldn't it be a better idea for artists to smartly hedge their bets on the next bubble? Or if the hype cycles can be broken, to find a way of sustainably absorbing them? For those who are early enough adopters to be able to feel some of the benefits of a hype, perhaps it's better to carry on receiving some tail end benefits. For others, it's smarter to change course and try to exploit a completely different resource altogether. The point is that the market will reward artists who bravely capture enough of what it is that we want them to express – and it will reward the most those artists who are able to capture that expression quickest and the most. It is up to the artist to decide how they are going to achieve that horizontal advantage in order to leverage themselves into their futures.



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